Musiker in 2023 – ein Thema, das sehr gerne stiefmütterlich behandelt wird. Auch wenn wir es gerne leugnen, wir alle sind im Zeitalter des Streamings angekommen, und die Uhr lässt sich nunmal nicht zurückdrehen. Dieser Artikel richtet sich in erster Linie an meine Musikerkollegen. (Das Titelbild stammt übrigens aus einem interessanten Artikel aus dem Magazin STEREO.DE)
Ich schreibe dies, weil mir das Thema schon lange auf der Seele liegt. Den Anstoß gab mir ein Post auf Facebook, initiiert von Mark Storey und Brass Moonkey.
Alle versprechen es – keiner tut es
Es ist einfach, sich als Musiker in 2023 über die geringen finanziellen Erträge zu beschweren. Ich persönlich bin kein großer Fan der großen Streamingdienste, ist es doch ein Zeichen unserer Zeit den Dingen keine große Aufmerksamkeit mehr zu schenken. Warum sollte jemand Musik kaufen, wenn es denselben Song oder Titel quasi kostenlos auf @Spotify und Co gibt? Ja klar, um den Künstler in seiner Arbeit zu unterstützen. Das steht jedem Hörer frei – und doch tut es niemand. Vollständigkeitshalber hier ein Link zu meinem Profil auf Spotify – damit Ihr alle mich unterstützen könntet, wenn Ihr denn wolltet 🙂
Das Experiment
Letztes Jahr habe ich folgendes Experiment gestartet: meine neue Musik sollte zuerst in den kostenpflichtigen Diensten wie z.b. Amazon Music erscheinen, und erst nach 6 Wochen auf den Streamingplattformen frei erhältlich sein. Einfach um auszuprobieren, wie weit der gute Wille der Zuhörer (und nicht zuletzt auch meiner Gitarrenschüler) reicht. Exakt eine Kopie wurde verkauft, alle anderen Hörer warteten, bis der Titel kostenlos erhältlich war. Soweit zum Thema “Künstler unterstützen”.
Die Radioshow
Jede Woche produziere ich eine Radioshow “Jørg’s World“, in der ich den Zuhörern die Musik nahebringe, die mich als Musiker und Gitarrist ausmacht. Tatsächlich kaufe ich immer wieder Musik, Alben oder auch einzelne Titel, um Songs legal in der Radioshow verwenden zu können. Während ich anfangs noch 2 Stunden Sendung mit vielen unabhängigen, kleinen Künstlern produziert habe bin ich jetzt dazu übergegangen, nur noch eine Stunde Sendung mit jeweils einem unabhängigen Künstler zu senden. Die Zuhörerzahlen im fünfstelligen Bereich geben mir recht.
Für kleines Geld veröffentlichen
Mittlerweile kann jeder Musiker, Künstler oder auch Band 2023 seine Musik weltweit für kleines Geld veröffentlichen. Als Label arbeite ich mit Horus Music ltd. in England zusammen, die sowohl Labels als auch einzelnen Künstler zur Verfügung stehen. Das beginnt (im Moment, April 2023) ab 20 GBP. Hier bietet sich eine einzigartige Chance für jeden, seine Musik selbst zu veröffentlichen.
So manche Musik bleibt besser im Übungsraum
Das Problem bei der Sache ist, daß eben jene Künstler oft Musik veröffentlichen, die eben nicht der internationalen Norm entspricht. Meist werden die technischen Voraussetzungen nicht erfüllt (-2db Peak Level an -11LUFS), und ich finde teilweise sogar Übungsraum Mitschnitte, die qualitativ besser im Übungsraum geblieben wären. Die Möglichkeit billig und weltweit zu agieren führte dazu, daß Qualität nicht mehr ernst genommen wird. Der kleine Künstler ist ja nun nicht mehr auf ein Label angewiesen, dessen Aufgabenbereich unter anderem die Qualitätskontrolle darstellt. Somit gelangt – verzeiht mir diesen Ausdruck – jeder Mist auf den Markt und stößt reihenweise Hörer ab. Wie soll der Hörer denn die guten von den schlechten Bands unterscheiden? Nun, dann bleibt man als Spotify Benutzer wohl lieber bei den bekannten Bands oder bei den vorgeschlagenen Playlisten. Verständlich, oder?
Meine Musik zwischen teuren Produktionen
Erst kürzlich hatte ich eine Debatte mit einem Freund und Labelkollegen (mx-pro.net), der seit vielen Jahren Musik für sich und auch andere Bands im Studio aufzeichnet und produziert. Er war ziemlich ungehalten, weil ich seine Musik zur Bearbeitung mehrfach zurückgewiesen habe. Er arbeitet ja schließlich schon seit vielen Jahren an einzelnen Songs und auch Alben, und konnte erstmal nicht nachvollziehen, warum ich seine Arbeit zur Veröffentlichung auf dem Label zurückwies.
Das einleuchtende Argument
Das einleuchtende Argument war dann das Folgende: die von uns veröffentlichte Musik erscheint heutzutage (2023) in Playlisten. Das heißt der Hörer hat nicht mehr die CD mit allen Titeln in seinem Auto, sondern platziert einen Song zwischen Gary Moore und Joe Bonamassa. Und deshalb ist es wichtig, Musik nach einem gewissen Standard zu produzieren. Wenn Dein Song zwischen zwei Major-Label Titeln (die zugegebenerweise Tausende von Dollars in der Produktion kosteten) zu dumpf und zu leise erscheint, wird er von der Playlist entfernt. So einfach ist das – Karriere vorbei.
Angebot und Nachfrage
Durch die Möglichkeit günstig und weltweit zu veröffentlichen sind die Kanäle verstopft. Im Moment erscheinen rund 40.000 neue Songs täglich auf den Plattformen. Zwar haben wir die Möglichkeit mit jeder Veröffentlichung Millionen von Menschen zu erreichen, aber dazu gehört mehr als nur ein sauber produzierter Song. Die wenigsten Hörer suchen selbst nach genau Deiner Musik, und nicht die geringen Auszahlungen von Spotify (0,0047€ pro Stream) oder YouTube (0,0001€ per Stream) sind das eigentliche Problem. Es sind die Hörer, die wir nur mit erheblichem finanziellem Aufwand erreichen können.
Fake Dienste
Nicht die Streaming Dienste kosten uns Geld, sondern die zahllosen Fake-Dienste mit Botplays, falschen Erfolgsversprechen oder gar unsinnigen, hochpreisigen Labelverträgen betrügen uns. Tatsächlich stellt uns z.b. Spotify in unserem “Spotify for Artists” Konto alle Informationen zur Verfügung um zu erfahren, wo genau unser Zielpublikum liegt. Und klar, natürlich würde ich mir einen Erlös von 1Cent pro Stream wünschen. Aber solange einige wenige Musiker Millionen Streams verkaufen, wird das wohl nichts werden.
Früher war alles leichter
Nun, ich denke alt genug zu sein um diesen Punkt besprechen zu können. Wieviele Demotapes haben wir denn in den Achtzigern an Plattenlabel verschickt, in der Hoffnung auf einen lukrativen Vertrag? Und die Chance einem Musikscout vorzuspielen lag zumindest für mich hier in Ingolstadt bei Null.
Als dann die Smartphones beliebt wurden konnten wir unser Publikum recht einfach per Email oder SMS zu Konzerten einladen. Trotzdem mussten Poster und Handzettel gedruckt werden, um die Leute zu erreichen. Nein, es war nicht leichter. Nur anders. Und ja, zugegeben, unsere lokalen Fans kamen anfangs zum Konzert, weil der Konkurrenzdruck geringer war. Das junge Internet bot zudem die Möglichkeit, Musik illegal in großer Menge zu downloaden. Die gesamte Musikindustrie wurde schwer geschädigt, und die Idee mit dem “Musik und Streaming für jedermann” wurde geboren. Gewissermaßen als Abgrenzung des Schadens.
Nutzung und Wert von Musik 2023
Ganz ehrlich – meine Generation kannte Schallplatten, CDs, Musikkassetten. Viele Stunden verbrachte ich als Kid mit dem Studium und den Texten der neuesten Iron Maiden Schallplatte, während selbige in Dauerschleife den ganzen Samstag Nachmittag lief. Eine Schallplatte zu kaufen kostete mich mein Taschengeld, stellte also für mich einen erheblichen Wert dar.
Die junge Generation kennt Musik tatsächlich nur als ein Icon auf dem Smartphone. Nichts errinnert mehr daran, wieviele Stunden Übungsraum, Musikunterricht, Ideenfindung und Herzblut im Schaffensprozess steckt. Tatsächlich möchte ich sagen – sie wissen es nicht besser. Und da wundert es mich auch kaum, daß Musik nach 3 Sekunden hineinhören weitergewischt wird, bis etwas Spannendes die Gehörgänge erreicht. Oder gleich von vornherein nur als Playlist Empfehlung im Hintergrund beim Sport läuft. Willkommen in 2023!
Livekonzerte
Jeder mag sie, die monumentalen Livekonzerte von Kiss, Rammstein und den anderen großen, berühmten Künstlern. Da ist ja für die 150€ Konzertkarte schließlich auch etwas geboten. Licht, Feuer und Sound in nie dagewesenen Dimensionen fluten für eineinhalb Stunden den Verstand. Ja, verstehe ich sehr gut. Aber wie sollen denn nun kleine Künstler dagegenhalten? Ich denke wir sind auf das Wohlwollen der Zuhörer angewiesen, die aus der Welle der Beschleunigung austreten müssen. Irgendwann ist ein Maß erreicht, das nicht mehr zu toppen ist. Wir alle als Musiker in 2023 können nur hoffen, daß das geschieht bevor uns Künstlern der Atem ausgegangen ist und die handgemachte Musik nur noch eine nostalgischen Erinnerung darstellt.
Danke für’s geduldige Lesen und Frohe Ostern – Jørg im April 2023